Klausur: Ein Spiel

ÜBERSICHT:
Vorwort: Desillusionierung
Training
Strategie

Vorwort: Desillusionierung

Die Lösung einer juristischen Klausur hat mit realen Problemen der Rechtsanwendung, mit rechtlichem Diskurs und kreativer Problemlösung oder gar mit Gerechtigkeit kaum etwas zu tun. Vielmehr gleicht sie einem Spiel, bei dem man unter Einhaltung bestimmter Regeln durch vorprogrammierte Aktionen möglichst viele Punkte sammelt.

Um in diesem Spiel möglichst viele Punkte zu erhalten, musst Du als Spieler bestimmte Schemata, Schlagwörter, Wendungen und Zahlen in einer Reihenfolge niederschreiben, die möglichst der Reihenfolge entspricht, die der Klausurersteller  erwartet. Er ist der Gegner in diesem Spiel: Aufgabe ist es, sein begriffliches Konstrukt anhand der Andeutungen im Sachverhalt nachzubilden.


Training

Damit liegt auf der Hand, dass Du mehr Punkte bekommst, je mehr Andeutungen im Sachverhalt Du mit Elementen des Konstrukts verknüpfen kannst, das als Lösung erwartet wird. Solche Verknüpfungen zwischen Andeutungen im Sachverhalt und Lösungselementen lassen sich am besten durch Konditionierung einüben, also durch Training an möglichst vielen Fällen.

Reine Konditionierung erreichst Du, indem Du (am besten laut) zuerst den Sachverhalt liest und anschließend die Musterlösung. Bei komplizierteren Sachverhalten empfehlen sich dazu natürlich Skizzen oder Notizen.
Bei diesem Vorgehen lassen mangels Eigenleistung sehr schnell Aufmerksamkeit und Motivation nach. Wesentlich effektiver ist das Training in Kombination mit Selbstversuchen und Selbstkontrolle. Dazu bieten sich folgende vier Methoden an:




Nach Erkenntnissen der Hirnforschung sind die Trainingseinheiten dann am ergiebigsten, wenn sie möglichst abwechslungsreich, von regelmäßigen Pausen durchzogen und insgesamt nicht zu lang sind. Ein Trainingsplan vor der Klausur könnte demnach zum Beispiel wie folgt aussehen:

Die Selbstkontrolle durch Vergleich mit einer Musterlösung ist dann am effektivsten, wenn Du den Bewertungsmaßstab von Klausuren im Kopf hast. Innerhalb des Punktesystems orientieren sich Klausurersteller und Klausurbewerter nämlich häufig an einer groben Abstufung:

Auf der ersten Stufe (4 Punkte) hat man bestanden. Hierfür sind einfache und grundlegende Teile der Lösung notwendig. Zu vermeiden sind die sog. „Grundlagenfehler“, wobei es häufig um die Verwendung bestimmter Begriffe/Formulierungen oder die Einhaltung eines Schemas geht.
Die zweite Hürde stellt das sog. „kleine Prädikat“ dar, das (im Staatsexamen) mit 6,5 Punkten erreicht ist. Diese Hürde ist variabel und verlangt in der Regel eine abgeschlossene Arbeit mit Ausführungen zu den meisten Grundideen der Klausur.
Die dritte Stufe ist mit dem Prädikat bei 9 Punkten erreicht. Dazu sollte man alle Grundideen der Klausur erkannt haben und sich mit den erwarteten Problemen argumentativ auseinandergesetzt haben. Hier kann auch die sehr gründliche Bearbeitung eines komplexen Problems ein kürzeres Eingehen auf andere Themen oder gar das Auslassen kleinerer Prüfungsschritte aufwiegen.
Um über diese dritte Stufe hinauszukommen, gibt es zwei Möglichkeiten: Zum einen gelangt man umso weiter, je mehr spezielle oder nur schwer erkennbare Fragen man abhandelt. Zum anderen kann es aber auch schon genügen, besonders komplexe Aspekte eines an sich einfachen Problems zu erkennen. Vollständigkeit und Schwerpunktsetzung sind hierfür unabdingbar.

Versuche daher beim Trainieren mit Fällen anhand der Musterlösung die Teilbereiche in die Bewertungsstufen einzuordnen (ausgenommen natürlich kleinere Fälle mit nur einem Problem): Wo sind die Hürden eingebaut? Was hätte ich erkennen müssen, um jedenfalls zu bestehen? Mit welchen Teilen der Lösung hätte ich höhere Punkte erzielen können? Gibt es Randprobleme, die ich ohne großen Verlust hätte auslassen können (z.B. in Zeitnot)?


Strategie

Besonders hilfreich kann in Klausuren eine vorausschauende strategische Planung sein. Häufig fallen einem mehrere Varianten ein, wie der Lösungsweg aussehen könnte, Du bist Dir aber nicht sicher, welchen Weg die Lösungsskizze vorsieht. Hier macht es Sinn, die verschiedenen Wege zu durchdenken und sich zu fragen, welche Stationen/Zwischenziele erreicht werden bei Wahl des jeweiligen Lösungswegs. Entsprechen die Zwischenziele den im Sachverhalt enthaltenen Hinweisen und Reizwörtern, die Du Dir antrainiert hast? Werden alle im Sachverhalt angesprochenen Fragen diskutiert, wenn Du diesen Weg einschlägst? Gibt es im Sachverhalt vielleicht sogar einen Hinweis auf das endgültige Ergebnis?

Wichtig ist es bei diesem Vorgehen, eine vollständige und fokussierte Bestandsaufnahme des Sachverhalts zu erstellen und möglichst viele Lösungsideen zu entwickeln. Lege Dich nicht vorschnell auf eine gefundene Lösungsidee fest, sondern prüfe in der gebotenen Kürze alle in Betracht kommenden Wege! Beschleunigen lässt sich die Prüfung, indem Du Auswahlkriterien anwendest, die einen Lösungsweg eindeutig ausscheiden lassen, z.B. wäre die Klausur ansonsten zu schnell zu Ende oder es wären ausführliche Sachverhaltsschilderungen überflüssig. Umgekehrt helfen bei knapper Zeit besondere Kriterien, die für den Lösungsweg sprechen, z.B. baust Du so häufig geprüfte Probleme ein oder kommst so zu einer differenzierenden Lösung.

Wenn sich herausstellt, dass ein Lösungsweg nicht ergiebig ist, solltest Du ihn dennoch nicht sofort verwerfen, sondern im Hinterkopf behalten. Vielleicht lässt er sich noch mit einem anderen zur optimalen Lösung verknüpfen. Insgesamt kannst Du – je nach vorhandener Zeit – die möglichen Lösungsvarianten und Ihre Konsequenzen an jeder Abzweigung prüfen, vor der Du stehst. Schematisch vereinfacht kann die Struktur der Erwägungen z.B. so aussehen:

Strategie-Struktur

Um Deine Lösung auf das vorgesehene Lösungskonstrukt des Klausurerstellers abzustimmen und damit auch die Reaktion des Korrektors zu antizipieren, hilft es als strategisches Mittel, Dich in die Perspektive des Klausurerstellers hineinzuversetzen: Der Ersteller geht meist von einer oder mehreren Grundideen aus, die die Klausur enthalten soll. Das kann eine bekannte Problemkonstellation sein, eine bestimmte Gliederung (z.B. mit Verschachtelung) oder auch ein kniffliger Einstieg in eine ansonsten standardmäßige Prüfung; häufig geht es auch nur um das Auffinden einer selten oder bisher nie herangezogenen Norm. Seine Grundidee(n) baut der Klausurersteller nach und nach in einen Kontext ein, der zusätzliche kleinere Probleme/Weichenstellungen enthalten kann und ansonsten der Ausschmückung dient. Einen Klausursachverhalt rückwärts wieder auf die Grundidee(n) des Erstellers zu reduzieren, stellt damit einen wesentlichen Vorteil dar – nicht zuletzt für die Schwerpunktsetzung.

Wo die Schwerpunkte eines Falles liegen, ist sehr subjektiv. Um in einer Klausur die Gewichtung der Lösungsskizze vorherzusehen, gibt es aber mehrere Anhaltspunkte: Erstens gilt die Regel, dass die Behandlung in der Lösung umso ausführlicher sein sollte, je länger die Sachverhaltsschilderungen zu einer Frage sind. Zweitens sind zumeist die eben beschriebenen Grundideen der Klausur erwartete Schwerpunkte der Lösung. Drittens – und mit dem letzten Punkt verknüpft – kann der Bewertungsmaßstab einer Klausur Aufschluss über Schwerpunkte der Lösungskonstruktion geben (siehe oben unter „Training“ am Ende):
Schwerpunkte eines Falls bilden meistens diejenigen Hürden, die im „mittleren Bereich“ eingebaut sind, d.h. auf Stufe 2 oder 3. Führe Dir daher die Stufen bei der Korrektur Deiner Übungsfälle wie oben beschrieben vor Augen. So wirst Du auch eine bessere Intuition dafür bekommen, worin Du in Deiner Klausur die meiste Zeit und Energie investieren solltest!

Fortsetzung folgt:

Die Prüfungssituation

Klausurelemente

  • Darstellung verschiedener Lösungsmöglichkeiten als „Meinungsstreit“:

Klausurtypologie